Amerika von Carsten Rabe als Filmessay

aus "Amerika" von Carsten Rabe (c) Carsten Rabe

Gerade erschienen:

Carsten Rabe: »Amerika«

97 Abbildungen

205 x 275 mm, 184 Seiten

Mit Texten von Nina Lucia Groß und Martin Kreyßig

ISBN: 978-3-86485-184-1

Textem Verlag, Hamburg 2017, 39 Euro

 

Pressetext:

Keine der Fotografien im Fotobuch »Amerika« wurde in Amerika fotografiert. Die Betrachter erfahren nicht, wo diese Bilder entstanden sind. Ort und Datum gelten als wesentliche Indikatoren im Medium der dokumentarischen Fotografie, aber in »Amerika« werden keine Dokumente gezeigt. Die Herkunft der Fotos, Ort und Zeit ihrer Herstellung sind bedeutungslos. Der indexikalische Charakter von Fotografien wird verweigert. Entscheidend ist für Rabe der Bilderzyklus, die Reihenfolge, die Montage und Erzählung der Inhalte mit ihren visuellen Strukturen wie Kontrast, Rhythmus, Farbigkeit und Perspektive.

Die Fotografien schweben in einem Illusionsraum, der Geografie und Zeitdimension neu definiert. Die Betrachter verorten die Fotografien in Raum und Zeit unter der Headline Amerika. In geteilter Autorschaft öffnet das erzählerische Verfahren von Carsten Rabe den Betrachtern die Möglichkeit, die fotografierte Lektüre mit ihren erinnerten Bildern eines imaginären wie realistischen Amerika in Übereinstimmung zu bringen. Amerika setzt sich bei der Betrachtung der Fotografien zu einer Realität zusammen, die nicht existiert. Die Betrachter werden mittels der Fotografien nicht über Amerika informiert, sondern sondieren den Zusammenhang zwischen erinnerten Amerikabildern oder Bildern, die sie Amerika zuschreiben, und den Amerikabildern von Rabe, die Amerika inszenieren.

Mit den Fotografien zeigt Carsten Rabe etwas. Er benennt das Gezeigte mit dem Titel Amerika und versieht es mit einer artifiziellen Spur. Wir, die Betrachter, sehen alles im Buch »Amerika« Gezeigte als Spur eines Amerika. Die Spuren finden sich aber nicht auf den gezeigten Fotografien, sondern in unseren Erinnerungen von Gezeigtem aus anderen artifiziellen Zusammenhängen oder in Erinnerungen, die wir von Reisen nach Amerika mitgebracht haben. Die Erzählung und Bildfolge Amerika besteht aus Als-ob und Als-wäre. Das lässt den Mythos einmal mehr magisch leuchten. Amerika bleibt Amerika.

Arkanum Aras Goekten

(c) Arkanum_Aras Goekten_10

Anlässlich der Abschlussausstellung der Ostkreuzschule für Fotografie im Oktober 2014 im SEZ in Berlin, entstand zu den Fotoarbeiten von Aras Gökten der folgende Text.

 

Investigation spurloser Konstruktionen – zu fotografischen Werken von Aras Gökten

Bei Zeitzeugen handelt es sich um eine Spezies, die für einen bestimmten Moment und Ort, für eine Konstellation der Zeitgeschichte stehen und befragt werden. Spezialisten also, deren Zeugenschaft Auskunft liefert. Sie wirken manchmal heroisch, obschon sie nur in der Nähe und nicht unbedingt aktiv waren, aber manchmal eben doch als Akteure das Geschehen mitbestimmen. Ihr Bericht bezeugt eine Spur des Gewesenen, der überlieferte Text wird zum Erinnerungsbild und ersetzt andere Gedächtnisbilder, die sich weniger tief eingebrannt haben, oder lückenhaft sind, oder, und so ist es zumeist, nicht so gut erzählt wurden. Zeitzeugenschaft meint Deutungshoheit. Vom Rednerpult gesprochen: Ein Text, ein Foto, das Klarheit schafft, das Vergangene einordnet. Gute Filter.

Was aber, wenn in unseren Städten, deren Architekturen und Konstruktionen kurzfristig und eventhaft anmuten, urbane Situationen rein simulativ organisiert sind? Was, wenn dieser ununterbrochenen Metamorphose städtischer Moderne die Spuren ausgehen, weil die Lichter gar zu arg brennen oder gar zu schwarz die Szenen verdunkelt sind? Was, wenn die Bewohner selber keine Spuren hinterlassen? Was, wenn sie in inszenierten Räumen nur in diesen grell-lauten Momenten erhabenen Zusammengehörigkeitsgefühls existieren, um sich anschließend aufzulösen? Was, wenn diesen beständigen Verformungen, Tautologien und situativen Reflexen der Atem ausgeht und niemand am Ende bereit ist Zeitzeugenschaft zu übernehmen? War niemand dabei?

Die kargen, in ihrer technischen Perfektion verwahrlosten Konstruktionen, in denen wir als spurlose Monaden abhängen, werden von Aras Gökten oft mit grellem Licht aus einer vollkommen inszenierten Welt herausgeschält, die sich Blick und Nutzung beständig entzieht. Sie suggeriert uns mögliche Anwesenheiten, als zitiere sie alte Texte der Moderne. Gökten beleuchtet diese kühlen Passpartouts, architektonisch ausdrucklose Portfolios, deren Ziele unsichtbar bleiben, deren Funktionen austauschbar sind, in denen man von aller Art Gefühlen verschont bleibt. Er beleuchtet, weil diese Welten nicht leuchten.

Der Fotograf Aras Gökten konstatiert den status quo, der nur beim Auslösen des Verschlusses einen Wert erhält, der nur für diesen Moment zu existieren scheint. Szenen, die nur für diese Fotografie errichtet wurden, nur, um fotografiert zu werden. Hier erkennen wir Kern und Wesenheit dieser ständig flüchtenden, vollkommenen Architektur- und Sinnmetamorphose: Sie fließt synchron zum Verkehr und bewegt sich mit uns Stadtnomaden, wechselt täglich Kleidung und Gesicht, glänzt anderntags in frischem Teint, sucht neue Challenges und drückt sich fortwährend vor Bewährung und Alter. Die Ereignisse sind künstlich, Ergebnis kalkulierter Simulationen und vielen hundert Fachgesprächen zwischen Bürokraten, Ingenieuren, Architekten und Finanzjongleuren. Eine Kaskade digitaler Entscheidungsumgehungen, die möglichst vielschichtige und unklare Bedeutungen in sich tragen. So befriedigen sich alle Beteiligten.

Bei Göktens Fotografie dreht sich alles um die investigative Lust an der Deutung. Ihr Blick auf das arrangierte Ensemble liefert dem Ensemble als Echo einen Moment Lebendigkeit. Die Fotografie dieser Ambiente, Environments und ortloser Kulturphrasen, dieser kleinen Monster und blutleeren Vampire, einzig diese Fotografie liefert den Wert, weil jetzt ein Bild existiert. Die Bilder von Aras Gökten bezaubern die entzauberten Kulissen, sie erzählen prägnant, klug und gekonnt, wo Erzählung seit langem dem Wunsch nach Rendite gewichen ist.

Es wird spannend: Weil nun die Erfüllung der Fotografie bevorsteht, denn diese Sujets scheinen der Fotografie vollkommen gewogen zu sein, sie entblössen sich, sie gehorchen nur dem Objektiv, um objektiv zu sein. Hier verschwindet die Welt nicht im Verschluss der Kamera, hier ist die Welt präsent. Sie existiert einzig in der Fotografie und für diesen Moment fotografischer Zeitzeugenschaft. Ein Danach gibt es nicht und irgendwie ist es auch nicht wichtig. Dem Zeug weint keiner nach. Es bleiben die Fotografien von Aras Gökten.

(c) 2014 Martin Kreyßig

Michael Zibold

Passagen / Kehrer Verlag / Michael Zibold 2011

Michael Zibolds Fotografien im Band Passagen sind während der letzten zwanzig Jahre in den großen Hafenstädten dieser Welt entstanden: Shanghai, St.Petersburg, New York, Neapel, Rio de Janeiro, um nur einige der neunzehn Orte zu nennen. Doch von Häfen und ihren Aktivitäten erzählen die Fotos nur beiläufig. Im Mittelpunkt der Schwarzweißfotografien stehen Begegnungen mit Menschen und Orten, die über den rein dokumentarischen Kontext hinaus verweisen. Dabei zaubern ausgesuchte Blickwinkel, Hinter- und Vordergründe, Details und eine auf das Tageslicht vertrauende Lichtregie aus alltäglichen Eindrücken Geschichten.

Michael Zibold (geb 1957) studierte in Stuttgart, lebte in New York, Mailand und Tokio, bevor er 1989 nach Hamburg kam. Hier lebt und arbeitet er heute. Vor allem mit seinen Reportagen aus den Metropolen der Welt hat er sich international einen Namen gemacht. Seine Arbeiten wurden bereits in zahlreichen Ausstellungen präsentiert.

„Die Bilder von Michael Zibold bringen uns Orte, Gesichter und Szenarien zur Ansicht, die in uns zu Erinnerungen werden, ohne dass wir anwesend waren. Von seinem Instinkt für das Nebensächliche geleitet, folgt man der Spur des Photographen durch den urbanen Dschungel. Man entdeckt Ruhe, Stille und die oft erschreckende Sicht auf einen eingefrorenen Augenblick.“ Prof. Martin Kreyßig
Autoren des Katalogs „PASSAGEN“: Wolf Jahn, Robert Morat et al.

 

Passagen – Michael Zibold

  • Gebundene Ausgabe: 280 Seiten
  • Verlag: Kehrer, Heidelberg (Februar 2011)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3868282017
  • ISBN-13: 978-3868282016

 

Michael Zibold took the photographs in the book „Passagen“ during the past 20 years in the world’s major harbor cities: Shanghai, St.Petersburg, New York, Naples and Rio de Janeiro, to name just a few of a total of 19 different settings. But his images are only marginally about harbors and what goes on there. The black-and-white photographs focus instead on encounters with people and places that go beyond the purely documentary context. Carefully selected angles, backgrounds and foregrounds, details, and confidence in the adequacy of daylight conjure up compelling stories out of these everyday scenes.
Michael Zibold (*1957) studied in Stuttgart and lived in New York, Milan and Tokyo before coming to Hamburg in 1989, where he still lives and works today. He has made a name for himself internationally mainly with his photo reports on the world’s metropolises. Zibold’s work has been featured in numerous exhibitions.

»Michael Zibold’s pictures show us places, faces and scenarios that become memories without us having been there. Guided by his instinct for incidentals, we follow the photographer’s trail through the urban jungle. We discover peace, silence, and the often shocking sight of a moment frozen in time.« Prof. Martin Kreyßig

 

DAS ZWEI UND EIN KROKODIL / Text von Martin Kreyßig zu Fotografien von Michael Zibold, 1996

 

Pressetext zum Werk von Michael Zibold, 1997:

 

JENSEITS ALLER SENSATION

Emotionen überall. Die Hauptsachen springen dem Betrachter ins Gesicht wie wilde Tiere. Das Wichtige bleibt hängen. Action!

In Michael Zibolds eindrucksvollen schwarzweissen Fotografien wird die Wertepyramide auf die Spitze gestellt. Das scheinbar Nebensächliche wird in den Mittelpunkt gerückt, seine Protagonisten bevölkern Nischen und Schatten, sie sind die eigentlichen Hauptdarsteller dieser fröhlichen Welt, voll von Stars und Sternchen.

Ob Mailand, Istanbul, New York, Shanghai, Peking, Palermo, Hamburg oder Wien: die Steine, das Glas der Städte, vor allem ihre Bewohner haben es diesem Fotografen angetan. In der Stadt, dem Olymp menschlichen Handelns, streift Zibold umher, sucht mit sicherem Instinkt und Gefühl die Plätze auf, deren steile Kontraste ihn sogleich gefangen halten, die er mit dem Normalobjektiv in einfachster Manier umsetzt. Keine Bearbeitung, no fake.

Von Gefühlen geleitet, entstehen Momentaufnahmen, die schon im nächsten Moment wieder anders aussähen. Die ausschnitthafte, diagonale Komposition vieler Bilder gibt mehr von dem frei, was gemeinhin verborgen bleibt. Spiegel und Fenster, Schatten und Schriften sind bevorzugte Sujets. Die verstellte Sicht auf das Leben öffnet eine umfassendere Totale, denn das bekannte Panorama. Der Ausschnitt eines Stückes Welt beinhaltet auch schon alle anderen möglichen Perspektiven.

In diesen Fotografien bilden Rand und Lücke das Zentrum. Sie sind bestimmender Teil der künstlerischen Komposition. Fast konservativ. Die Lücke definiert das Fehlende als das Entscheidende, das die Mitte, das Zentrum, der Hype nie erreichen kann. Die Ränder bezeichnen immer Ende und Übergang, mithin eine optimistische Sicht. In diesem Sinn sind die Fotos dieses sensiblen Weltenguckers den Menschenstädten ein schwarzer Spiegel. Sie zeigen unvermittelt und hart was übrig bleibt, woraus Zukunft entsteht. Jenseits aller Sensation. Jenseits kultureller Unterschiede.

Die „eigenen Bilder“ des Michael Zibold bringen uns Orte, Gesichter und Szenarien zur Ansicht, die uns zur Erinnerung werden, ohne daß wir seinerzeit anwesend waren. Von seinem Instinkt für das Nebensächliche geleitet, folgt man der Spur dieses Fotografen durch den urbanen Dschungel. Man entdeckt Ruhe, Stille und die oft erschreckende Sicht auf einen eingefrorenen Augenblick. Dann gibt sich die Welt wieder einen Ruck und voller Erleichterung spürt man die Drehung um die eigene Achse.

 

Ich-Metamorphosen

Ich-Metamorphosen, 2 x HD-Screen, Echtzeit-Multimedia-Science-Fiction-Lexikon / Prof. Martin Kreyssig, Prof. Holger Reckter, Prof. Dr. Christian Geiger

Ein dichotomisches Projekt auf zwei HD-Bildschirmen. Interaktive Wissensreise in 2D und 3D durch das Thema: Künstliche Menschen, Metamorphose, Selbstbildnisse, Spiegelbilder. Scharnier ist der Film „Blade Runner“ von Ridley Scott, USA 1981. Ausgehend von Filmsequenzen und Standbildern kommt man zu unterschiedlichen Themen und Inhalten, die in dem Film eine Rolle spielen.

Das Projekt wurde öffentlich präsentiert:

  • Konferenz „Film, Visualisation, Narrative“ am 17. November 2006 an der Royal Holloway, University of London.
  • TIDSE 2006, 3rd International Conference on Technologies for Interactive Digital Storytelling and Entertainment in Darmstadt.

Realisation: Robin Fritze, Elisabeth Herwig, André Kleine, Ines Oppermann, Stefan Schaaf, Cordula Stingl und Stephan Streuber.

Betreuenden Professoren: Prof. Martin Kreyßig, Prof. Holger Reckter, Prof. Dr. Christian Geiger.

Inhalt im Detail:

Dichotomisches Projekt auf zwei Bildschirmen. Interaktive Wissensreise in 2D und 3D durch das Thema: Künstliche Menschen, Metamorphose, Selbstbildnisse, Spiegelbilder.

Scharnier ist der Film „Blade Runner“, USA 1981 von Ridley Scott. Ausgehend von Filmsequenzen und Standbildern kommt man zu unterschiedlichen Stoffen … Von der zentralen Plattform „Blade Runner“ aus lassen sich wie auf einer Kugel verteilt neuronale Knoten erreichen. Die visuelle Präsentation leitet über eine gebogene imaginäre Erdoberfläche und führt zu diesen neuronalen Containern. Hier sind Photos hinterlegt, Texte eingelassen, Archive angelegt, die durchmessen werden können. Grundkonzept ist eine Welt, auf der neuronale Gebäude errichtet werden können – Container für inhaltlich abgegrenzte Bereiche – die miteinander verknüpft sind. Der Nutzer kann diese Welt bereisen und einzelne Gebäude betreten. Aus den Inhalten eines Containers heraus kann der Nutzer zu anderen Containern gelangen.

Die Container bergen zu abgegrenzten Wissensgebieten Inhalte in textlicher, bildlicher, filmischer und akustischer Form. Die beiden Bildschirme (oder Beamer) zeigen immer ein entweder ganzheitliches oder dichotomisches Bild. Entsprechend der inhaltlichen Fokussierung auf künstliche Wesen versus Mensch sind dies Spiegelbilder, Gegenüberstellungen, Schuss-Gegenschuss-Formate oder aber Bild-Text-Formate.

Dokumentation des Projekts Ich-Metamorphosen (PDF 2.9 MB)

Ich-Metamorphosen, TIDSE 2006, Darmstadt
Ich-Metamorphosen, TIDSE 2006, Darmstadt

BLANKS – VISIONEN AM WASSER

Blanks – Visionen am Wasser, Ausstellungsansicht Nacht, Hamburger Architektursommer 2003

AKYOL KAMPS ARCHITEKTEN / BRÜCKNER & BRÜCKNER ARCHITEKTENDEPICCIOTTO WITTORF ARCHITEKTEN BDA / WALTER GEBHARDT ARCHITEKTARCHITEKTEN GÖSSLER BDA / HABERLAND ARCHITEKTENJÄGER JÄGER ARCHITEKTEN BDA / MORPHO–LOGICRENNER HAINKE WIRTH ARCHITEKTEN / STÖLKEN SCHMIDT ARCHITEKTENWACKER ZEIGER ARCHITEKTEN

Architekturausstellung anlässlich des Hamburger Architektursommers 2003.

Hamburgs allgegenwärtige Berührung mit Wasser bietet als Grenze und Entgrenzung einen besonderen Anreiz, den BLANKS für verschiedene Bauaufgaben in den Uferzonen thematisiert. 11 deutsche Architekturbüros explorieren das urbane Potential und präsentieren Zeichen eines zukünftigen Hamburg.

Veranstalter: Charles de Picciotto, Lars WittorfProf. Martin Kreyssig

Fotografie: Jochen Stüber